KUNSTKONZEPTE DER STADT BRANDENBURG 2004
In der Bäderabteilung des denkmalgeschützen Stadtbades am Messelplatz realisieren die diesjährigen Gewinner der Kunstkonzepte der Stadt Brandenburg eine spannungsreiche Installation, die sich mit dem Verhältnis von Körper, Gesellschaft und Identität beschäftigt. Vor dem Hintergrund zeittypischer Freiheiten, den Körper als Repräsentationsobjekt im öffentlichen Raum zu inszenieren, was auch aggressive Eingriffe wie Piercing, Branding und Implantate beinhaltet, gestalten Imke und Constanze Kreiser acht atmosphärisch dichte Räume aus Texten, Licht und unterschiedlichen Materialien.  
Das Thema Körper wird bewusst in Räumen in Szene gesetzt, denen ein gänzlich anderes Verständnis und ein anderer Umgang mit dem Körper zugrunde lag. Die Installationen sind nicht zufällig eingebettet in die geometrische Strenge des Gebäudes. Assoziationen wie Hygiene, Sauberkeit und Wohlbefinden, wie sie die Wannenbäder des alten Stadtbades wachrufen, werden auf unmittelbare Weise mit unerwarteten Materialcollagen und subversiven Texten gebrochen. Der Besucher erlebt, wie seine eigenen Kindheitserinnerungen an Körper- Erlebnisse mit Wasser, Wärme, Wohlbehagen den acht Räumen ganz unterschiedliche emotionale Qualitäten verleihen. Er findet sich unversehens nicht als Betrachter, sondern als Akteur in den acht begehbaren Körper-Kammern wieder, er kann berühren, riechen, Verschüttetes freilegen und hinterlässt so seine eigenen Spuren. Zu sehen war die Ausstellung „Unter die Haut“ vom 16.-23. Dezember 2004 im alten Stadtbad am Messelplatz 1 in Brandenburg an der Havel.
„Das Gebäude redet noch“ „Unter die Haut“-Installationen im Dezember im Kulturbad
ANDRÉ WIRSING
Körperkult bis zur Selbstzerstörung, der nachlässige Umgang mit dem eigenen Körper unabhängig von seiner Funktionalität, der Körper als Repräsentationsgegenstand, als Ziel von Neugier und Gewalt. „Unter die Haut“ ist der Titel einer Rauminstallation der beiden Schwestern Imke und Constanze Kreiser. Sie hatten mit ihrer Idee den städtischen – mit 5000 Euro dotierten – Preis „Kunstkonzepte 2004“ gewonnen. Ihre Schau zeigen sie im Dezember im Kulturbad im alten Stadtbad. Einen besseren Ort hätten sie in der Stadt nicht dafür finden können. „Das Thema Körper wird in Räumen inszeniert, die gebaut wurden, als ein ganz anderes Körperverständnis herrschte, mit der Idee des gesunden und gesund zu haltenden Körpers“, sagt Constanze Kreiser. In ihrem Konzept haben die beiden Künstlerinnen den Gegensatz so beschrieben: „Schwimmbäder weisen auf eine geänderte Körperwahrnehmung hin, der Körper wird nicht mehr für die Arbeit gesund erhalten. Er kann ohne Rücksicht auf sein Funktionieren verformt werden, er wird nur aus Repräsentationsgründen mit Fitness, Bodybuilding, Chirurgie in Form gebracht, mit Piercing, Tattoos und Permanent Make-up bemalt und bekleidet.“ Markenkleidung reicht nicht mehr aus, jetzt geht’s unter die Haut. Für ihre Installation nutzen die beiden Frauen die acht Wannenbad-Abteile, die durch ein Rollrasenband auf dem Boden und rote Stoffbahnen unter der Decke und an den Stirnwänden verbunden sind. Jedes Abteil trägt einen anderen Titel – „Körpergrenze“, „Körpermasse“, „Körpersinne“, „Machtkörper“ oder „Angstkörper“ beispielsweise. Die Wannen sind gefüllt mit Stoffen wie Latex, Tapetenkleister, Honig oder Lacken. Darüber spannen sich durchsichtige Folien mit Texten aus Medizin, Religion, Populärkultur, Literatur oder Werbung. Mit dem Slogan „Feel confident“ (Fühl dich sicher) wird beispielsweise im Internet für eine Lotion geworben, die „Nutella für den ganzen Körper“ sein soll. Der Zugang zu den Wannen ist erschwert durch auf den Boden geschüttete Materialien. Schiebt man diese mit den Füßen beiseite, werden Wortpaare sichtbar. Constanze Kreiser ist begeistert von dem alten Stadtbad als Kulisse für ihre Installation. „Dieses Gebäude redet noch. Die Uhren, Druckmesser, Thermometer, aber auch die Schilder mit den Verhaltensanweisungen sprechen eine eigene Sprache.“ Parallelen zieht die Künstlerin zu dem im Jahr 2000 erschienenen Buch „Der Bademeister“von Katharina Hacker. Darin geht es um einen Bademeister im Prenzlauer Berg, der entlassen ist, weil sein Bad geschlossen wurde. Dabei mag er nicht begreifen, dass mit der Schließung alles zu Ende und dem Verfall preisgegeben sein soll. Bald verlässt er das Bad nicht einmal mehr, um zu Hause zu übernachten. Assoziationsreich spricht er mit sich selbst oder imaginierten Zuhörern. Offensichtlich sprechen bei „Unter die Haut“ die Ausstellungsmacherinnen über ihre Texte und Kollagen mit den – realen – Betrachtern.
 MAZ, 16. Dezember 2004

 

fotos © f. steinhausen